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Der Bieler Dichter Robert Walser

Eine kleine Hommage

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Robert Walser Bieler Dichter (*15.04.1878 - +25.12.1956)

 "Jakob von Gunten" oder "Der Gehülfe" gehören mitunter zu den meist-zitierten Werken von Robert Walser. Neben seinen Romanen hat er aber auch zahlreiche Gedichte und Erzählungen geschrieben. Faszinierend sind zudem seine "Mikrogramme", die er u.a. in der Berner Klinik Waldau geschaffen hat. Dort wurde auch Adolf Wölfli behandelt Obwohl Robert Walser von Christian Morgenstern, Franz Kafka und Hermann Hesse ausgesprochen gerne gelesen wurde, geriet er bald in Vergessenheit. Erst in den 1960er/1970er-Jahren wurde er wiederentdeckt und erlangte wiederum seinen wohlverdienten Bekanntheitsgrad. [ww]





"Der Traum"

Bild von Karl Walser, Bruder des Dichters

Karl Walser (* 8. April 1877 in Biel/Bienne; † 28. September 1943 in Bern) war ein Schweizer Maler, Bühnenbildner und Illustrator. Sein Werk war zunächst stark am Symbolismus orientiert, später entwickelte es sich – ganz im Sinne des Zeitgeistes – hin zu einer heroisierenden Körperverehrung. Seine Kunst, die ihm zu Lebzeiten grosse Anerkennung einbrachte, liess ihn nach seinem Tod in Vergessenheit geraten, ganz im Gegensatz zu seinem Bruder Robert Walser, dessen Rezeption sich umgekehrt entwickelt hat.




 
I

Ein Beispiel aus seinem Schaffen:

Schneien


Es schneit, schneit, was vom Himmel herunter mag, und es mag Erkleckliches herunter. Das hört nicht auf, hat nicht Anfang und nicht Ende. Einen Himmel gibt es nicht mehr, alles ist ein graues weisses Schneien. Eine Luft gibt es nicht mehr, sie ist voll Schnee. Eine Erde gibt es auch nicht mehr, sie ist mit Schnee und wieder mit Schnee zugedeckt. Dächer, Strassen, Bäume sind eingeschneit. Auf alles schneit er herab, und das ist begreiflich, denn wenn es schneit, schneit es begreiflicherweise auf alles herab, ohne Ausnahme. Alles muss den Schnee tragen, feste Gegenstände wie Gegenstände, die sich bewegen, wie z.B. Wagen, Mobilien wie Immobilien, Liegenschaften wie Transportables, Blöcke, Pflöcke und Pfähle wie gehende Menschen. Kein Fleckchen existiert, das vom Schnee unberührt bleibt, ausser was in Häusern, in Tunneln oder in Höhlen liegt. Ganze Wälder, Felder, Berge, Städte, Dörfer, Ländereien werden eingeschneit. Auf ganze Staatswesen, Staatshaushaltungen schneit es herab. Nur Seen und Flüsse sind uneinschneibar. Seen sind unmöglich einzuschneien, weil das Wasser allen Schnee einfach ein– und aufschluckt, aber dafür sind Gerümpel, Abfällsel, Hudeln, Lumpen, Steine und Geröll sehr veranlagt, eingeschneit zu werden. Hunde, Katzen, Tauben, Spatzen, Kühe und Pferde sind mit Schnee bedeckt, ebenso Hüte, Mäntel, Röcke, Hosen, Schuhe und Nasen. Auf das Haar von hübschen Frauen schneit es ungeniert herab, ebenso auf Gesichter, Hände und auf die Augenwimpern von zur Schule gehenden zarten kleinen Kindern.


 
II

Alles, was steht, geht, kriecht, läuft und springt, wird sauber eingeschneit. Hecken werden mit weissen Böllerchen geschmückt, farbige Plakate werden weiss zugedeckt, was da und dort vielleicht gar nicht schade ist. Reklamen werden unschädlich und unsichtbar gemacht, worüber sich die Urheber vergeblich beklagen. Weisse Wege gibt‘s, weisse Mauern, weisse Äste, weisse Stangen, weisse Gartengitter, weisse Äcker, weisse Hügel und weiss Gott was sonst noch alles. Fleissig und emsig fährt es fort zu Schneien, will, scheint es, gar nicht wieder aufhören. Alle Farben, rot, grün, braun und blau, sind vom Weiss eingedeckt. Wohin man schaut, ist alles schneeweiss, wohin du blickst, ist alles schneeweiss. Und still ist es, warm ist es, weich ist es, sauber ist es. Sich im Schnee schmutzig zu machen, dürfte sicher schwer, wenn nicht überhaupt unmöglich sein. Alles Tannenäste sind voll Schnee, beugen sich unter der dicken weissen Last tief zur Erde herab, versperren den Weg. Den Weg? Als wenn es noch einen Weg gäbe! Man geht so, und indem man geht, hofft man, dass man auf dem rechten Weg sei. Und still ist es. Das Schneien hat alles Geräusch, allen Lärm, alle Töne und Schälle eingeschneit. Man hört nur die Stille, die Lautlosigkeit, und die tönt wahrhaftig nicht laut. Und warm ist es in all dem dichten weichen Schnee, so warm wie in einem heimeligen Wohnzimmer, wo friedfertige Menschen zu irgendeinem feinen lieben Vergnügen versammelt sind. Und rund ist es, alles ist rundherum wie abgerundet, abgeglättet. Schärfen, Ecken und Spitzen sind zugeschneit. Was kantig und spitzig war, besitzt jetzt eine weisse Kappe und ist somit abgerundet. Alles Harte, Grobe,
Holperige ist mit Gefälligkeit, freundlicher Verbindlichkeit, mit Schnee zugedeckt. Wo du gehst, trittst du nur auf Weiches, Weisses, und was du anrührst, ist sanft, nass und weich.
III

Verschleiert, ausgeglichen, abgeschwächt ist alles. Wo ein Vielerlei und Mancherlei war, ist nur noch eines, nämlich Schnee; und wo Gegensätze waren, ist ein Einziges und Einiges, nämlich Schnee. Wie süss, wie friedlich sind alle mannigfaltigen Erscheinungen, Gestalten miteinander zu einem einzigen Gesicht, zu einem einzigen sinnenden Ganzen verbunden. Ein einziges Gebilde herrscht. Was stark hervortrat, ist gedämpft, und was sich aus der Gemeinsamkeit emporhob, dient im schönsten Sinne dem schönen, guten, erhabenen Gesamten. Aber ich habe noch nicht alles gesagt. Warte noch ein wenig. Gleich, gleich bin ich fertig. Es fällt mir nämlich ein, dass ein Held, der
sich tapfer gegen eine Übermacht wehrte, nichts von Gefangengabe wissen wollte, seine Pflicht als Krieger bis zu allerletzt erfüllte, im Schnee könnte gefallen sein. Von fleissigem Schneien wurde das Gesicht, die Hand, der arme Leib mit der blutigen Wunde, die edle Standhaftigkeit, der männliche Entschluss, die brave tapfere Seele zugedeckt. Irgendwer kann über das Grab hinwegtreten, ohne dass er etwas merkt, aber ihm, der unterm Schnee liegt, ist es wohl, er hat Ruhe, er hat Frieden, und er ist daheim. - Seine Frau steht zu Hause am Fenster und sieht das Schneien und denkt dabei: „Wo mag er sein, und wie mag es ihm gehen? Sicher geht es ihm gut.“ Plötzlich sieht sie ihn, sie hat eine Erscheinung. Sie geht vom Fenster weg, sitzt nieder und weint.

Robert Walser (1917)

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